Wissenschaft und Kritik - Sonstige Themen
28.01.2001
Vor etwa hundert Jahren war der gesunde Menschenverstand in Ungnade gefallen. Zumindest die Physik betreffend. Warum eigentlich?
Dinge gibt es mitunter auf der Bühne, die gibt es gar nicht. Jedenfalls nicht im richtigen Leben.
Da schweben irgendwelche Leute so ziemlich frei in der Luft. Oder sie werden in kleine Teile zerstückelt. Oder in gar wilde Tiere verwandelt: Kaninchen oder Tiger etwa. Oder sie verschwinden
ganz einfach. Der Phantasie sind fast keine Grenzen gesetzt.
Das Spektrum der Tätigkeiten der Illusionisten ist breit gefächert aber nicht mein Thema. Jedenfalls hat der gesunde Menschenverstand kaum eine Chance. Und die "Naturgesetze"
scheinen aufgehoben zu sein.
Falsch! Denn der Zauberkünstler weiß sehr wohl um die Hintergründe seiner Tätigkeit. Der Zuschauer hingegen nicht. Ihm werden relevante Informationen vorenthalten und gleichzeitig wird
er mit Nebensächlichkeiten vom Kern der Sache abgelenkt.
Wird irgendwann einmal ein Trick erklärt, so ist man - wahrhaft - desillusioniert. Im Allgemeinen bleiben die Tricks jedoch geheim. Weil: Die Künstler verdienen ja ihr Geld damit. Einige
wenige - in Las Vegas beispielsweise - sogar sehr viel Geld. Und das Geheimnis macht ja auch den Reiz der Sache aus.
Der so genannte gesunde Menschenverstand wird hierbei nicht in Frage gestellt, aber unser Denken - bewusst
- in die falschen Bahnen gelenkt. Am besten ist es, man denkt überhaupt nicht nach (das bringt eh nichts), sondern lässt sich auf unterhaltsame Weise an der Nase herumführen.
Der letzte Rat gilt für die Wissenschaften natürlich nicht. Hier geht es darum, der Natur die letzten Geheimnisse zu entreißen. Die "letzten" deshalb, weil zu jeder Zeit fast
alle Geheimnisse bereits als entschlüsselt galten. Bis auf einige weinige. Dies waren dann die "letzten Geheimnisse".
Letzte Einschätzung allerdings entpuppte sich stets als Illusion. Immer, wenn man glaubte, das Ziel fast erreicht zu haben, rückte es, einer Fata Morgana gleich, in unerreichbare Ferne.
Solches widerfuhr der Physik beispielsweise zum Ausgang des 19. Jahrhunderts. Es war fast alles klar. Bis auf ein paar Kleinigkeiten. Und diese "Kleinigkeiten" erschütterten die Grundfesten der
Wissenschaft Physik.
Da wurde, vor hundert Jahren ungefähr, die Quantenhypothese (als ein Beispiel) von Max Planck
bekannt gegeben. Und in den folgenden drei Jahrzehnten etwa entwickelte sich diese Theorie zu einem ausgereiften abstrakten theoretischen Apparat, der viele Phänomene quantitativ beschreiben konnte und vielleicht auch Anhaltspunkte lieferte für die technische Nutzanwendung, aber dem - mittlerweile in Ungnade gefallenen - gesunden Menschenverstand gänzlich unzugänglich war. Und weil die Technik - vom Transistor bis zum Mikroprozessor, von der Laserdiode im CD-Laufwerk bis zum Hochleistungslaser in der Werkstoffbearbeitung - die Richtigkeit der Theorien anscheinend bestätigen konnte, hatte man genügend Argumente in der Hand, die Widersprüche im gesamten Theoriengebäude der Physik geschickt zu umschiffen oder gar zu ignorieren.
Auch wenn man keinen wirklichen Ausweg aus dieser Situation fand (Einstein
z.B. hatte seinerzeit durchaus Probleme damit), so fand man sich mit der Situation letztendlich dergestalt ab, dass die moderne Physik weder anschaulich ist, noch mit den bis Ende des 19. Jahrhunderts durchaus üblichen Mitteln des rationalen Denkens erfassbar war. Der gesunde Menschenverstand hatte endgültig ausgedient!
Hat er das wirklich? Oder liegt diese Einschätzung lediglich daran, dass uns relevante Informationen fehlen, und/oder dass wir nur nicht in der Lage sind, diese Informationen sauber zu
interpretieren, weil uns bestimmte Kenntnisse fehlen?
Es wird gern so argumentiert, dass auch die astronomischen "Welt"-Bilder einstmals dem gesunden Menschenverstand zuwiderliefen. Dem aber ist nicht so. Natürlich sind wir - erst
einmal - durch die Alltagserfahrung geprägt. Diese Erfahrung lehrt uns - zunächst -, dass oben und unten absolut unterscheidbar sind. Auch die Bewegung an sich besitzt absoluten Charakter. Und dass
leichte Gegenstände (z.B. Papierschnipsel) langsamer zu Boden fallen als schwere Objekte (z.B. Steine) kann jeder selbst beobachten.
So erscheint es uns. Erst das Wissen um die wirklichen Zusammenhänge erlaubt es uns, die Alltagserfahrung zu erweitern und angebliche Widersprüche aufzulösen. Gerade die klassische Aufklärung konnte viele Dinge erklären und dem Verständnis nahebringen, wenngleich mit historisch bedingten Unzulänglichkeiten behaftet.
Hier gibt es durchaus Parallelen zu den Kunststückchen des Illusionisten. Nur ein wichtiger Unterschied besteht: Bei der Erforschung der "Geheimnisse der Natur" gibt es niemanden,
der uns bewusst in die Irre führen will. (Das ist meine ganz persönliche Einschätzung.)
Doch gibt es "Darbietungen" der Physiker, die jeder Logik hohnzusprechen scheinen. Da aber die Physiker ihre
"Zauberkunststücke" oft selbst nicht so recht verstehen, weil sie nicht "hinter die Kulissen" schauen können, wird die Lösung der
Rätsel ungemein erschwert. Es gibt niemanden, der des Rätsels Lösung parat hat (so wie der Zauberkünstler), weil selber
ausgedacht. Die letzte Instanz ist der Forscher selbst. Es gibt keinen Lehrer, der die Arbeit des Schülers bewertet und nötigenfalls
korrigierend eingreift. Der Physiker als aktiver Forscher ist Lehrer und Schüler und Zuschauer von "Zauberkunststücken" in Personalunion. Und so etwas geht oftmals schief.
Determinismus
03.03.2001
Gibt es den objektiven Zufall oder ist alles, zumindest prinzipiell, vorherbestimmt?
Im Beitrag Bausteine zitierte ich recht ausführlich einen gewissen Pierre Simon Marquis de Laplace
. Hier nochmals ein kurzer Auszug:
Der momentane Zustand des "Systems" Natur ist offensichtlich eine Folge dessen, was im vorherigen Moment war, und wenn wir uns eine
Intelligenz vorstellen, die zu einem gegebenen Zeitpunkt alle Beziehungen zwischen den Teilen des Universums verarbeiten kann, so könne
sie Orte, Bewegungen und allgemeine Beziehungen zwischen all diesen Teilen für alle Zeitpunkte in Vergangenheit und Zukunft vorhersagen.
Die durchaus beachtenswerten Erfolge von Astronomie und Physik bereits vor Jahrhunderten führte letztendlich (vgl.
Erfolge von Wissenschaft und Technik) zu einer Überschätzung des gegebenen Wissensstandes. Bestandteil des gegebenen Erkenntnisstandes bildete - insbesondere bei den
Naturwissenschaftlern - die weitgehende Bestätigung der Vorstellung von der durchgängigen und starren Determiniertheit sämtlichen
Weltgeschehens von der Vergangenheit bis beliebig in die Zukunft hinein.
Folgende Überlegung spielte möglicherweise eine wichtige Rolle dabei: Nichts auf der Welt geschieht ohne Ursache; und nichts geschieht,
ohne dass es seinerseits die Ursache für künftiges Geschehen ist. Dies lässt sich grundsätzlich beliebig in Vergangenheit und Zukunft anwenden. Somit hat der Zufall - objektiv
jedenfalls - keine Chance.
Die konkreten Erfolge der Newtonschen Mechanik führten zur weiteren Festigung dieses Standpunktes. Und die wesentlichen Elemente eben
jener - mathematisch prinzipiell beherrschbaren - Mechanik waren der Raum, die Zeit, die Massen sowie die zwischen diesen Massen wirkenden Kräfte
. Jene Kräfte beispielsweise sind bei der Gravitation sehr genau bekannt. Und kennt man nun - dies gilt in hervorragender Weise für unser Sonnensystem - dieAnfangswerte zu einem
beliebigen Zeitpunkt, so bergen Vergangenheit und Zukunft eines solchen Systems überhaupt keine Geheimnisse mehr. Ist also der Zustand des Sonnensystems zu einem Zeitpunkt
bekannt, so kennt man auch - die Lösung der technisch-mathematischen Probleme vorausgesetzt - alle Systemzustände zu allen Zeiten. Dies scheint - oberflächlich betrachtet - zu stimmen. Doch
übertrug man diese Vorstellung auf alle materiellen Strukturen, gleichfalls in der Annahme, dass sie aus kleinsten Bausteinen (Atome, Moleküle
etc.) mit bekannten Eigenschaften bestünden, für die grundsätzlich ebenfalls jene Gesetze gelten mussten, die auch für die Himmelskörper verbindlich waren. Dass man schließlich an praktische
Grenzen stieß, änderte an der grundsätzlichen Haltung nicht das Geringste.
Dieser Determinismus konnte aus philosophischer Sicht nicht gänzlich unwidersprochen hingenommen werden. Wo bliebe in der Endkonsequenz
die freie Willensentscheidung des Menschen? Diese wäre - so könnte man argumentieren - nur Schein und lediglich eine Erscheinugsform unserer
prinzipiell unüberwindbaren Unwissenheit. Irgend etwas stimmt hier also nicht.
Die Physiker allerdings hatten zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch mit weiteren ernsten Problemen zu kämpfen. Die Fragen, die ihnen die
Quantenphysik bescherte, führten einerseits zur Aufgabe des Anspruches, etwas "verstehen" zu können (und später auch zu wollen) und zum
anderen trat der Zufall als ein den Dingen selbst anhaftendes Phänomen auf und war nicht mehr - so sieht man dies auch heute noch - Ausdruck unseres Unvermögens, die Realität vollständig
erfassen zu können.
Selbst Einstein hatte damals einige Schwierigkeiten damit. "Gott würfelt nicht", beschrieb seine Einstellung diesen Problemen gegenüber. Für ihn
war der Zufall nur ein Hinweis auf jene Tatsache, dass nach irgendwelchen "verborgenen Parametern" gesucht werden müsse, damit die schöne
deterministische Welt wieder in Ordnung gebracht werden könne, vergleichbar mit dem Anspruch der statistischen Mechanik, die ihrerseits die
reduktionistische Begründung für die Thermodynamik lieferte. Hier galt der Zufall - mit den Mitteln der statistischen Mathematik und
Wahrscheinlichkeitsrechnung beherrschbar - eher als Spiegelbild der Unmöglichkeit, alle Parameter eines Systems zu erfassen und verarbeiten zu
können, denn als Abbild des nicht vollständig determinierten Geschehens an sich. Denn, so argumentierte man, die Bewegung der Atome und
Moleküle (insbesondere in Flüssigkeiten und Gasen) gehorchen den
Gesetzen der Mechanik und sind somit gleichfalls vollständig determiniert, auch dann, wenn wir nicht in der Lage sind, dies korrekt nachvollziehen zu können.
Die Problematik der objektiven Determiniertheit aller Prozesse ist u.a. an die Vorstellung der prinzipiellen Prognostizierbarkeit
eben jener Vorgänge geknüpft. Vorhersagbarkeit und Determiniertheit jedoch sind nicht identisch.
11.03.2001
Wer die Zukunft kennt, hat gute Karten. Doch ganz so einfach ist das alles in Wahrheit nicht.
Über die Bewegung der Himmelskörper weiß man schon seit Jahrtausenden Bescheid. So war es denn beispielsweise vor 4000 Jahren schon
möglich, eine Sonnenfinsternis vorauszusagen. Vielleicht noch viel eher. Da berichtet beispielsweise eine uralte Chronik aus dem alten China (wobei
ich mich für diese Geschichte nicht verbürgen kann, da ich sie irgendwann einmal irgendwo gelesen habe) von einer gewaltigen Schlamperei. Es
begab sich, dass die zuständigen Hofastronomen es einmal versäumten, eine anstehende Sonnenfinsternis rechtzeitig bekanntzugeben. Der Kaiser
war damals ob dieser Nachlässigkeit ziemlich verärgert. Er ließ die säumigen Astronomen hinrichten.
Wie auch immer, Tatsache ist, dass auch in "grauer Vorzeit" der beobachtenden Astronomie ein hoher Stellenwert eingeräumt wurde. Wie wäre eine
exakte Zeiteinteilung sonst auch möglich gewesen? Astronomie, Kalender oder - allgemein - Zeiteinteilung bildeten in menschlichen
Gesellschaften schon immer eine Einheit. Und dass die Herrscher mitunter ihre Untertanen nicht gerade zimperlich behandelten und oftmals "eine
etwas übertriebener Strenge" walten ließen, ist hinreichend bekannt. Solch drastische Strafmaßnahmen, wie hier geschildert, sind heutzutage etwas schwerer vorstellbar.
Kein Mensch würde mehr Meteorologe werden wollen. Dieser Berufszweig wäre längst - buchstäblich - ausgestorben, nicht aufgrund irgendwelcher
Versäumnisse, sondern wegen der nicht besonders hohen Zuverlässigkeit der Vorhersagen.
Im Ernst: Es geht um Prognosen für künftiges Geschehen, wobei es hier um die etwas mehr wissenschaftlichen Erscheinungsformen der Voraussagen
geht. Wissenschaftliche Prognosen stützen sich auf die Determiniertheit (vgl. Determinismus und Zufall und Notwendigkeit) der Vorgänge in der
Natur. Allgemein formuliert: Der Zustand eines Systems zu einem beliebigen Zeitpunkt determiniert den Zustand des Systems zu allen künftigen Zeiten
. Und besitzt man Kenntnis über die Gesetzmäßigkeiten, die einem Prozess zugrunde liegen, so ist man in der Lage - anhand eines
mathematischen Modells - selbst Aussagen über Zustände eben jenes Prozesses zu machen, die in der Zukunft und auch Vergangenheit liegen.
Prozesse, die sich in die Vergangenheit zurückverfolgen lassen, gelten als reversibel.
Als das Paradebeispiel dieser Möglichkeiten werden immer wieder die astronomischen Objekte herangezogen, die sich - erstens - nach strengen
Gesetzmäßigkeiten bewegen, wobei - zweitens - diese Bewegung auch noch absolut periodisch erfolgt.
Und was die möglichen Modelle angeht, so erwies sich das Ptolemäische System mit der Erde im Mittelpunkt bis zur "Kopernikanischen Wende" als
recht erfolgreich. Alles nichts Neues. Zusammenfassend sind für die erfolgreiche Prognose eines Prozesses folgende Voraussetzungen erforderlich:
- Der Prozess läuft nach objektiven Gesetzmäßigkeiten ab, ist also ein deterministischer Prozess.
- Es steht ein "hinreichend genaues" Modell des Prozesses zur Verfügung.
- Es sind die Rand- und Anfangsbedingungen des Systems respektive Prozesses (System- und Prozessparameter) "hinreichend genau" bekannt.
Ein solches Modell kann entweder ein mathematisch formulierbares Zeitgesetz (z.B. ein Differentialgleichungs-System) sein oder auch ein
Simulationsalgorithmus, der einen Prozess auf einem Computer zum "virtuellen Leben" erweckt.
Der Teufel aber steckt - wie so oft - im Detail. Das war vor langer Zeit u.a. auch schon dem französischen Mathematiker und Philosophen Henri Poincaré
(1853-1912, Bild rechts) aufgefallen, der sich zu diesem Problem folgendermaßen äußerte:
Eine sehr kleine Ursache, die wir nicht bemerken, bewirkt einen beachtlichen Effekt, den wir nicht übersehen
können, und dann sagen wir, der Effekt sei zufällig. Wenn die Naturgesetze und der Zustand des Universums zum
Anfangszeitpunkt exakt bekannt wären, könnten wir den Zustand dieses Universums zu einem späteren Moment
exakt bestimmen. Aber selbst wenn es kein Geheimnis in den Naturgesetzen mehr gäbe, so könnten wir die
Anfangsbedingungen doch nur annähernd bestimmen. Wenn uns dies ermöglichen würde, die spätere Situation in
der gleichen Näherung vorherzusagen - dies ist alles, was wir verlangen -, so würden wir sagen, dass das
Phänomen vorhergesagt worden ist und dass es Gesetzmäßigkeiten folgt. Aber es ist nicht immer so; es kann
vorkommen, dass kleine Abweichungen in den Anfangsbedingungen schließlich große Unterschiede in den
Phänomenen erzeugen. Ein kleiner Fehler zu Anfang wird später einen großen Fehler zur Folge haben. Vorhersagen werden unmöglich, und wir haben ein zufälliges Ereignis.
Hiermit sind eindeutig die Grenzen der Prognostizierbarkeit abgesteckt. Somit erhebt sich die Frage, was die Planetenbewegungen (z.B.) von der
Entwicklung des Wetters unterscheidet. Das soll im nächsten Beitrag behandelt werden. Langsam nähern wir uns dem Chaos, wobei vom Determinstischen Chaos
die Rede sein soll. Anscheinend ein Widerspruch in sich.
Eine ausführliche Darlegung der Gedanken ist hier zu finden:
18.03.2001
Auch determinierte Prozesse sind weder uneingeschränkt prognostizierbar noch reproduzierbar.
Der letzte Beitrag (Prognosen) endete folgendermaßen: Somit erhebt sich die Frage, was die Planetenbewegungen (z.B.) von der
Entwicklung des Wetters unterscheidet.
Der analytische Lösungsansatz für die mathematische Modellierung der Bewegung der Himmelskörper jedenfalls ist noch relativ einfach zu erstellen
und in den grundlegenden Dingen seit Isaac Newton bekannt. Hier haben wir es mit den Massen und den zwischen den Massen wirkenden Kräften
zu tun. Kennen wir alle Parameter dieses Systems (wenn wir uns nur auf die Sonne und die 9 Planeten beschränken, was in guter Näherung durchaus sinnvoll ist), so sind wir in der Lage, ein
System gewöhnlicher Differentialgleichungen aufzustellen, welches die Eigenschaften des Sonnensystems näherungsweise modelliert. Die Integration
dieses Gleichungssystems ist zwar im Allgemeinen nicht mehr analytisch (formelmäßig)
möglich, sondern nur noch numerisch. Aber heutzutage verursacht es grundsätzlich keine übermäßig großen Schwierigkeiten, einen Simulationsalgorithmus auf einem gängigen PC zu implementieren.
Und unser "virtuelles Sonnensystem" wird sich ganz brav verhalten und ein recht genaues Abbild des Originals liefern - aber nur, wenn wir (was
selbstverständlich ist) die Originaldaten nehmen (diese sind tatsächlich mit "hinreichender Genauigkeit" bekannt.)
Doch haben "virtuelle Welten" den unschätzbaren Vorteil, dass wir mit diesen Modellen Versuche anstellen können, die uns in der Realität - auch in
ferner Zukunft - vorenthalten bleiben werden. Wir können beispielsweise die Sonnenmasse variieren. Hierzu muss man wissen, dass die Masse
unserer Sonne etwa 99,87% der Gesamtmasse des Sonnensystems ausmacht. Alle anderen Körper - Planeten, Monde, Planetoiden und Kometen - tragen nicht nennenswert zur Gesamtmasse bei.
Wir sind damit in der Verfassung, ein (virtuelles) Sonnensystem, auch etwas abweichend von dem unserem, zu "basteln", welches sich dennoch
ähnlich verhalten wird wie unser reales System. Es sind jedoch einige "Spielregeln" einzuhalten, die sich aus elementaren Überlegungen im Rahmen
der klassischen Mechanik ergeben. Auf die Details einzugehen, würde an dieser Stelle zu weit führen. Doch an einer Bedingung kommen wir grundsätzlich nicht vorbei:
Die Zentralmasse (hier die der Sonne) muss groß sein gegenüber den Massen aller anderen Körper. Ist diese
Voraussetzung nicht gegeben, so erleben wir eine unliebsame Überraschung: Unser - noch sehr einfaches System mit sehr einfacher Struktur, die
man wahrlich noch nicht als komplex bezeichnen kann - verhält sich auffallend chaotisch.
Selbst ein lediglich aus drei Massen bestehendes System ist nur unter ganz speziellen Bedingungen zu animieren, sich einigermaßen "sittsam" zu
bewegen. "Sittsam" heißt hier stabil und streng periodisch.Im Allgemeinen verhalten sich Systeme, welche aus mehr als zwei Massen bestehen,
instabil. Ein solches System wird in einzelne Massen oder 2-Massen-Systeme zerfallen. Und eine kleine Variation der Anfangsbedingungen führt zu völlig unvorhersehbaren
Verhaltensweisen. Stabil - und damit "berechenbar" - sind allgemein nur 2-Massen-Systeme. Hier kennt man in
der Astronomie beispielsweise die Doppelsterne, die wohl relativ oft vorkommen und um einen gemeinsamen Schwerpunkt rotieren und eben solche Systeme, die sich annähernd
wie 2-Massen-Systeme behandeln lassen. Für Systeme mit einer großen Zentralmasse (unser Sonnensystem gehört
dazu) gilt letzteres in guter Näherung. Dies liegt daran, dass der gravitative Einfluss der Zentralmasse den Einfluss aller übrigen Massen überwiegt,
vorausgesetzt, letztere kommen sich nicht gar zu nahe und verursachen eine nur relativ geringfügige gegenseitige "Störung". Aus einer solchen Störung
lässt sich auf die Anwesenheit einer Masse schließen, auch dann, wenn man sie (noch) nicht direkt beobachten kann.
Nun könnte man einwenden, dass es dennoch stabile Systeme gibt, die aus beispielsweise 100 Milliarden Sonnen bestehen. Die Galaxien sind der
offensichtliche Beweis dafür. Nur: Die Astronomen suchen seit geraumer Zeit nach der sog. dunklen Materie, die - welch Zufall! - angeblich 90%
der Gesamtmasse der Galaxien ausmachen soll. Nur unter dieser Bedingung ist - im Rahmen der gegebenen Theorien (klassische Mechanik oder Allgemeine Relativitätstheorie
) - die Stabilität der Galaxien gesichert. (Dies wäre ein gesondertes Thema.)
Der langen Rede kurzer Sinn: Selbst einfach erscheinende (deterministische) Systeme - und die Masse-Punkt-Systeme mit abstandsabhängigen
Zentralkräften der klassischen Mechanik zählen dazu - sind in ihrem Verhalten nicht uneingeschränkt prognostizierbar. Schon eine kleine - zunächst
vernachlässigbare - Variation der Anfangsbedingungen führt "nach hinreichend langer Zeit" zu einem nicht mehr vorhersagbaren Verhalten. Man spricht dann von der
empfindlichen Abhängigkeit von den Anfangsbedingungen. Objektprozess und Modell divergieren letztendlich immer.
Hier noch ein anderes Beispiel, welches die Problematik der Reproduzierbarkeit veranschaulicht. Beobachtet man einen Könner des Billardspieles
, so ist man über dessen Geschicklichkeit durchaus beeindruckt. Die Kugeln bewegen sich - fast ist man geneigt zu konstatieren, wie von
"Geisterhand dirigiert" - auf dem Tisch. Der Spieler ist befähigt, die Anfangsbedingungen (Lage der Kugeln, Stoßrichtung, Stoßkraft usw.) exakt zu reproduzieren
, um den genauen Bewegungsverlauf festzulegen. Denken wir uns die Bewegung der Kugeln sowie die Stöße der Kugeln
untereinander und mit der "Bande" des Billard-Tisches ideal verlusstfrei, so werden sich die Kugeln "bis in alle Ewigkeit" bewegen. Aber: Wie
geschickt der Spieler auch sein mag, die Anfangsbedingungen sind nie absolut exakt reproduzierbar. Irgendwann wird ein - zunächst
vernachlässigbarer - Fehler so weit angewachsen sein, dass nicht mehr vorhersehbar ist, ob, wie vorgesehen, eine Kugel noch getroffen wird oder nicht. Spätestens
ab diesem Zeitpunkt taugt das Modell (wir können ja auch das Billardspiel auf dem PC simulieren) des Prozesses überhaupt
nichts mehr. Erst eine große Anzahl von "gleichen" Versuchen wird zu statistisch verwertbaren Ergebnissen führen.
Diese - hier nur sehr oberflächlich angedeutete - Problematik war schon vor langer Zeit Gegenstand mathematischer Überlegungen.
Wahrscheinlichkeitsrechnung und mathematische Statistik sind Werkzeuge, um statistische Gesamtheiten von Objekten und Prozessen zu erfassen. Und dann gibt es noch die
Chaos-Theorie, die sich mit dem Verhalten einzelner Systeme und Prozesse befasst, die zwar deterministischer
Natur sind, aber sich weder exakt prognostizieren noch reproduzieren, aber bestimmte Gesetzmäßigkeiten erkennen lassen. Letztere Theorie bewegt
sich auf einer recht abstrakten Ebene. Ihr auf dieses Terrain zu folgen, ist m. E. nicht unbedingt erforderlich. Nur so viel noch ergänzend: Je mehr ein
Prozess von vielfältigen - oft selbst nicht vorhersehbaren - Einflussfaktoren determiniert wird, um so unzuverlässiger (und/oder kurzfristiger
zuverlässig) werden Prognosen sein. Die Komplexität des Wettergeschehens z.B. ist so groß, dass schon von einem Tag zum anderen die Prognose
für die laufende Woche völlig anders ausfallen kann. Bestimmte Tendenzen sind erkennbar; und bestimmte erkennbare Tendenzen basieren u.a. auch
auf einem Erfahrungswissen, welches von den "Bauernregeln" gar so weit entfernt nun auch nicht ist (nur exakter dokumentiert). Wie dem auch sei,
trotz gewaltigen Aufwandes in der Meteorologie und leistungsfähiger Computer sowie immer besserer Modelle werden wir nicht heute schon wissen können
, wie das Wetter in 10 Tagen wirklich sein wird.
Nun gibt es außerdem die Klimaforschung, die sich mit Entwicklung des - globalen und/oder kontinentalen - Wetters über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren
(!) befasst. Dieser Zeitraum ist die Mindest-Zeitspanne, bei der "das Wetter zum Klima wird" (darauf hat man sich geeinigt). Auch
wenn man die Einzelheiten nicht kennt, sollte man über dieses Problem durchaus nachdenken wollen. Das soll - jetzt noch - nicht geschehen. Aber die Frage danach,
was die Planetenbewegungen von der Entwicklung des Wetters unterscheidet, ist vielleicht ansatzweise beantwortet
worden. Die Planetenbewegungen lassen sich, sollte nichts Außergewöhnliches geschehen, über Jahrmilliarden verfolgen. Und dass dieses überhaupt
möglich ist, liegt an ganz speziellen Bedingungen, die kurz angeschnitten wurden.
Beim Wetter hingegen beschränken sich die Prognosen auf einen Zeitraum von wenigen Tagen und stimmen nicht einmal dann hundertprozentig.
Doch habe ich immer noch nicht alle Fragen berücksichtigt, geschweige beantwortet. Grund genug, auf diesen Themenkreis zu einem späteren Zeitpunkt nochmals zurück zu kommen.
Eine ausführliche Darlegung der Gedanken ist hier zu finden:
12.08.2000
Die Wissenschaftler befassen sich mit mehr oder weniger selbst gewählten Themen. Diese Themen haben sich im Laufe der Jahrhunderte
herauskristallisiert. Sind dies aber wirklich die wahrhaft wichtigen Themen?
Einige wackere Zweifler gehen sogar so weit, meine Existenz zu leugnen. Um wenigstens selber zu wissen, dass
ich existiere nehme ich Zuflucht zu Descartes Methode: Ich denke also bin ich. So steht denn metaphysisch meine
Existenz fest, und ich schiebe den Zweiflern die Mühe zu, meine Nichtexistenz zu beweisen.
Der Text "Meine Welt", dem ich dieses Zitat entnommen habe, wurde erstmals im Jahr 1908 veröffentlicht. Die
Verfasserin dieser Sätze, deren Existenz hier anscheinend angezweifelt wurde, hieß Helen Keller und lebte von 1880 bis
1968.
Das Besondere an der Geschichte: Helen Keller verlor im Alter von 19 Monaten Seh- und Hörvermögen - und
wurde später zu einer bekannten (und durchaus auch umstrittenen, weil "unmöglichen") Schriftstellerin.
Das Besondere an der Geschichte: Die Autorin war zu intellektuellen Leistungen fähig, zu der sie - im Sinne des
damaligen Verständnisses von diesen Dingen - gar nicht hätte fähig sein können.
Es ist vielleicht gerade noch nachvollziehbar, dass ein Mensch den Verlust des Hörvermögens oder des Sehens noch teilweise kompensieren kann.
Aber wenn nur noch Geruchs-, Geschmacks- und Tastsinn übrig bleiben, was dann?
Und wie soll man erklären, dass ein Kind im Alter von eineinhalb Jahren über einen nur bescheidenen Wortschatz verfügend, Jahre später eine
Sprache erlernen kann, obwohl der wichtigsten Kommunikationsmöglichkeiten beraubt? Und der eigentliche Lernprozess begann erst im Alter von sieben Jahren!
Ich möchte noch nicht näher auf die erstaunliche Biographie der Helen Keller eingehen. Worauf es mir momentan ankommt ist, danach zu fragen:
Reichen die Kommunikationsmöglichkeiten über die verbliebenen drei Sinne tatsächlich aus, ein vielschichtiges Begriffssystem zu schaffen, welches
die Beschreibung der "lebensnotwendigen Grundfunktionen" sehr weit überschreitet, ohne dass eine solche begriffliche Basis - zumindest ansatzweise
- bereits vorhanden ist. Helen selbst war überzeugt, dass sie mit Geruch, Geschmack und Tastsinn die Umwelt wirklich umfassend - wenngleich mit
einigen Einschränkungen - zu erfahren in der Lage war. Liest man den Text "Meine Welt", so kommt man aus dem Staunen nicht heraus - zumindest,
wenn man sich der Problematik unbefangen nähert.
Im Klartext: Mir ist, wenn ich es recht bedenke, der Lernprozess der Helen Keller
völlig unbegreiflich!
Ein - anscheinend - völlig anderes Thema: Der umstrittene englische Biochemiker Rupert Sheldrake (geb. 1942) wartet mit Thesen auf, die vom
wissenschaftlichen Establishment nicht gerade freundlich aufgenommen werden. (Die "wackeren Zweifler" nun einmal bilden die Mehrheit.) Jedenfalls
steht für Sheldrake außer Zweifel, dass Tiere - und Menschen natürlich auch - über Kommunikationsfähigkeiten verfügen, die den Rahmen der
akzeptierten fünf Sinne überschreiten - und den Rahmen der etablierten Wissenschaften außerdem! Wir selbst sind uns dieser Fähigkeiten meist nur nicht bewusst.
Was soll man davon halten? Zumindest sollte man nachdenklich reagieren!
Wissenschaft betreiben, heißt Fragen beantworten. Mein Eindruck: Die Wissenschaftler suchen Antworten auf Fragen, die in
Wahrheit (noch) gar nicht die wirklich wichtigen Fragen sind. Es gibt Grenzen, die man gar nicht überschreiten kann - und will!
Und vielleicht ist das auch besser so.
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