Wissenschaft und Kritik - Physik
Die Suche nach dem geistigen Band
11.03.2000
Wer will was Lebendig's erkennen und beschreiben, sucht erst den Geist herauszutreiben, dann hat er die Teile in seiner Hand,
fehlt leider! nur das geistige Band. Goethe, aus Faust I
Im Jahr 1999 tauchte - schon wieder einmal - die Metapher von der Weltformel in der Presse auf. Der Anlass: Eine Tagung, die vom 19. bis 24. Juli 1999 in Potsdam stattfand.
"Strings 99" hieß diese Veranstaltung, an der die internationale Prominenz der Stringtheoretiker (und auch andere Physiker) teilnahm. Der Gastgeber war das Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik. Wie auch immer man zu solch spektakulären Veranstaltungen stehen mag und man vielleicht nicht so recht weiß, wie man die neuesten
Erkenntnisse auf diesem oder jenem Gebiet bewerten soll, so weckt die "Weltformel" eventuell einige Assoziationen. Vielleicht erscheint zunächst der Gedanke, dass es eine "einheitliche
Welt" geben mag und dass die Wissenschaft - zumindest grundsätzlich - in der Lage sei, diese Einheit der Welt in einer einheitlichen Theorie erfassen zu können. Und nicht zuletzt weist der Begriff
"Weltformel" auch darauf hin, dass eine "einheitliche Welttheorie" irgendwie etwas mit ihrer mathematischen Darstellung zu tun haben muss.
Die Physik ist - so wie wir sie heute kennen - etwa vierhundert Jahre alt. Und Bestrebungen, "die Welt" zu verstehen, gab es viel länger schon. Tatsache: Die
"Weltformel" wurde in der Vergangenheit scheinbar mehrmals bereits "gefunden". Im 19. Jahrhundert galt die Physik als abgeschlossen. Nur ein paar Kleinigkeiten waren noch zu klären.
Es kam jedoch ganz anders; die eigentlichen Probleme tauchten mit dem Jahrhundertwechsel auf. Werner Heisenberg
gab in der Mitte des 20. Jahrhunderts seine berühmte Weltformel bekannt, die sich allerdings als Flop erwies. Auch Einstein
bemühte sich jahrzehntelang vergebens um die Vereinigung von Gravitation und Elektrodynamik. Und im Bestreben, Quantenphysik und Gravitation in Einklang zu bringen ist man bislang gescheitert - fast ein ganzes Jahrhundert lang. Der zurzeit berühmteste Physiker auf unserem Planeten, Stephen
Hawking äußerte sich auf eben dieser Tagung (BERLINER MORGENPOST, 22. Juli 1999):
1980 habe ich gesagt, dass unsere Chancen 50 zu 50 stünden, bis Ende des Jahrhunderts eine solche allumfassende Theorie zu finden. Obwohl wir in den vergangenen 20 Jahren große
Fortschritte gemacht haben, sind wir jedoch unserem Ziel offenbar bisher nicht näher gekommen.
Hawking jedoch bleibt bei seiner Aussage - mit einer kleinen Korrektur:
Die 20 Jahre beginnen erst jetzt.
Vielleicht aber erst in hundert Jahren. Wer weiß das vorher? Die Erfolge bei der Suche nach dem "geistigen Band" sind nicht gerade sehr überzeugend. Grund genug, sich einige
Gedanken zu machen. Diese Gedanken sollten sich nicht auf einzelne Aussagen einzelner Wissenschaften beziehen, sondern auf die Wissenschaften (speziell die Physik) selbst.
Nachtrag 15.03.2018: Gestern (14.03.) ist Hawking nach etwa 50jähriger schwerer Krankheit (ALS)
leider verstorben. Die zweiten 20 Jahre sind somit fast verstrichen, aber an der Gesamtsituation hat sich immer noch nicht wirklich etwas geändert. Und auch in den nächsten 20 Jahren wird es keine
echten Fortschritte geben. Zumindest solange nicht, wie der bisherige Weg der Erkenntnisgewinnung - und davon kann man ausgehen - nicht verlassen wird. Vielleicht werde ich dies noch erleben. Vielleicht,
wahrscheinlich nicht! Doch die darauffolgenden 20 Jahre überschreiten mit Sicherheit meinen “Daseins-Horizont”. Meine Prognose: Auch in 40 Jahren wird man der einheitlichen physikalischen
Theorie mit Sicherheit nicht einen Schritt nähergekommen sein. Wetten dass...? - Ach so, diese Wette ist völlig sinnlos, weil ich deren Ausgang ohnehin nicht mehr erleben werde.
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